kleinen Öffnungsprojektoren. Sie fragte nicht, ob er bereit war; sie wußte es. Sie langte hinein, wobei ihr Arm beinahe den überlappenden Körper des Oktopus gestreift hätte, und stellte die Maschine an.

Und sie befanden sich auf einer steil abfallenden Fläche.

»He!« rief Veg, hilflos rollend.

Tamme packte sein Handgelenk und zog ihn hoch. Er hatte gewußt, daß sie stark war, aber dies brachte ihn aus der Fassung. Scheinbar ohne Anstrengung stützte sie den überwiegenden Teil seines Gewichts.

Vegs pendelnde freie Hand fand Halt, und er richtete sich auf. Sie hockten auf einer scharf geneigten Platte aus Kunststoff. Sie war orangefarben, aber durchsichtig. Durch sie hindurch konnte er die zusammengewürfelten Kanten anderer Platten erkennen. Er hatte an der schrägen oberen Kante Halt gefunden. Tamme hatte dasselbe ein Stück höher geschafft.

Unter ihnen befanden sich weitere Platten, einige hochkant, andere winklig oder breitseitig. Über ihnen gab es weitere. Und noch mehr seitlich. In allen Größen und Farben. Was sie an Ort und Stelle hielt, war ein Rätsel. Sie erschienen ganz fest, wie in klarem Glas gebettet, aber es gab nichts, was sie stützte.

Veg schielte nach unten, hielt Ausschau nach dem Boden. Alles, was er sehen konnte, war ein unregelmäßiges Netzwerk von Platten. Der Dschungel war, genau wie das Orchester, das sie gerade verlassen hatten, überall und endlos.

Tamme ließ sich los, glitt abwärts und landete elegant seitlich auf einer purpurfarbenen, horizontalen Platte. Sie bedeutete Veg, zu bleiben, wo er war.

»Es paßt«, murmelte Veg und zog sich hoch, um auf der schmalen Kante Platz zu finden. Die Welten waren

143

faszinierend in ihrer Variationsbreite, aber bisher war er keine große Hilfe gewesen.

Bald war sie zum Teil hinter der Transparenz verwinkelter Platten verschwunden. Er konnte ihre Bewegungen wahrnehmen, nicht aber ihr Bild. Natürlich suchte sie den nächsten Projektor.

Angenommen, sie fand ihn nicht? Es gab keine Garantie, daß eine bestimmte Welt einen Projektor hatte oder daß sich dieser innerhalb von fünfzehnhundert Kilometern befand. Irgendwo mußte die Kette ein Ende haben.

Ein Schauder von Besorgnis überlief ihn. Es gab auch keine Garantie dafür, daß die nächste Welt über atembare Luft verfügte! Sie spielten ein verdammt höllisches Roulettspiel! Vielleicht würden sie bis in alle Ewigkeit weitergehen und eine so verwirrende Ansammlung von Alternativwelten antreffen, daß sie schließlich vergaßen, von welcher sie aufgebrochen waren, daß sie die Erde selbst vergaßen.

Nun, er hatte sich freiwillig auf diesen Weg begeben!

Tamme war jetzt unsichtbar. Veg blickte sich um, zunehmend gelangweilt von der örtlichen Konfiguration. Er wollte selbst etwas davon erforschen, aber er wußte, daß er als Bezugspunkt an Ort und Stelle bleiben mußte. Diese Alternativwelt war auf ihre Art sehr hübsch, aber was konnte man hier tun?

Er bemerkte, daß sich die Plastikplatte, auf der er saß, nicht in einem idealen Zustand befand. Schmale Streifen blätterten ab. Vielleicht war sie in der Mauser oder häutete sich, während sie wuchs. Hahaha!

Gedankenlos puhlte er eine Bahn ab, getrieben von demselben milden Zwang, der Leute veranlaßte, die Plastikumhüllung von neuen, glänzenden Buchrestaurationen abzupuhlen. Das Zeug war durch und durch fast farblos, biegsam und leicht knisternd. Er bog es, und es

nahm die Gestalt eines sauberen, geraden Eselsohrs an, ohne zu zerbrechen.

Das brachte ihn auf einen Gedanken. Er begann dreiwinklige Sektionen zu falten. Er machte ein Hexaflexa- gon!

»Gehen wir«, sagte Tamme.

Veg blickte hoch. »Sie haben ihn gefunden, ja?« Er steckte seine Schöpfung in die Tasche und folgte ihr, wobei er von Platte zu Platte sprang und endlich seine Beine ausstrecken konnte.

Er war an einer Stelle verborgen, an der drei Platten zusammenliefen, sicher untergebracht.

»Klar, Kilroy war hier«, murmelte er.

Tamme blickte ihn scharf an. »Wer?«

»Sie kennen Kilroy nicht? Er stammt aus den alten Zeiten.«

»Oh, eine Redensart.« Sie beugte sich über den Projektor.

Es gab also bei der Agentenschulung eine Lücke: Sie wußten nichts über Kilroy. Offenbar betrachteten sie ihn nicht als wichtig genug, um ihn ins Programm aufzunehmen.

Der Projektor wurde aktiv.

. und sie waren zurück im Blizzard.

»Ein Kreislauf!« schrie ihm Tamme erbittert ins Ohr. »Nun, ich weiß, wo der Projektor ist.« Sie packte ihn in ihre Kleider und stürmte los.

»Vielleicht ist es nicht derselbe!« rief Veg.

»Es ist derselbe. Da ist unser Iglu.«

Und wirklich, sie kamen daran vorbei. Aber Veg fiel auf, daß sie diesmal an einer etwas anderen Stelle gelandet waren, denn sie hatten den Iglu an ihrer vorangegangenen Landungsstätte errichtet. Diesmal waren sie ungefähr fünfzehn Meter seitlich davon angekommen.

War dies bedeutsam? Er fror zu sehr, um es richtig zu durchdenken.

Innerhalb von ein paar Minuten fanden sie ihn.

»Die Zeit hat gerade ausgereicht, ihn wieder aufzuladen«, sagte sie. Dann: »Das ist komisch.«

»Was?« fragte er, zitternd im Wind.

»Dies ist ein linkshändiger Projektor, mehr oder weniger.«

»Derselbe, den wir vorher benutzt haben«, sagte er. »Gehen wir weiter mit ihm.«

»Ich scheine nachzulassen«, sagte sie. »Ich hätte das vorher merken müssen.«

»In diesem Blizzard? Allein ihn zu finden, reicht vollkommen!«

Sie zuckte die Achseln und aktivierte den Projektor.

Sie befanden sich jetzt in dem fremden Orchester.

Veg schüttelte den Schnee von Mantel und Haube und blickte sich um. Diesmal schienen sie an genau derselben Stelle gelandet zu sein wie zuvor. Er sah die Flecken ihres vorangegangenen Wasserabstreifens, als der Schnee geschmolzen war.

»Wir stecken in einer Schleife von Alternativwelten fest«, sagte Tamme. »Das gefällt mir nicht.«

»Es muß einen Weg geben, um herauszukommen. Es gab einen Weg, um hereinzukommen.«

»Das muß nicht zwangsläufig so sein.« Sie blickte sich um. »In jedem Fall sollten wir uns ausruhen, während sich der örtliche Projektor wieder auflädt.«

»Sicher«, stimmte er zu. »Wollen Sie, daß ich Wache stehe?«

»Ja«, sagte sie zu seiner Überraschung. Und sie legte sich auf den Fußboden und schlief ein.

Einfach so! Vegs Blicke huschten über ihren Körper,

denn sie war noch immer in BH und Höschen. Von ihren Ausrüstungsgegenständen war nichts zu sehen, und in Ruhestellung wirkte Tamme sehr weiblich. Und wieso sollte sie auch nicht? fragte er sich selbst wütend. Nicht alle Frauen der Welt mußten aus derselben Form gestampft sein wie Aquilon.

Natürlich war Tamme überhaupt keine Frau, sondern eine Agentin. Sie war wirklich aus einer Form gezogen worden - aus der TA-Serien-Form, Reihe weiblich. Überall in der Welt gab es weitere, die genauso waren wie sie, jede ebenso hübsch, leistungsfähig und selbstsicher.

Er scheute vor der Vorstellung zurück. Statt dessen blickte er sich im Orchester zwischen den nun vertrauten Wesen um. Sie sahen gleich aus: Oktopoden, Kiemenvögel, Schlagstocktrommler. Aber irgend etwas hatte sich irgendwie verändert? Was war es?

Er konzentrierte sich, und es wurde ihm klar: Diese Alternativwelt war dieselbe, aber die BlizzardAlternative war anders gewesen. Der Iglu - als er daran vorbeigegangen war. Nein, er bekam es nicht richtig hin. Anders und doch gleich, unerklärbar.

Veg stieß den Atem aus, legte Tammes Mantel ab und entdeckte sein Kunststoff-Hexaflexagon. Dies war wenigstens ein Beweis dafür, daß er in der Plattenwelt gewesen war. Er brachte die Faltungen zum Abschluß, biß auf die Enden, um sie richtig zu befestigen, und flektierte das Arrangement spielerisch.

Es war ein Hexa-Hexaflexagon. Es hatte einen hexagonalen Umriß, und wenn man es flektierte, trat aus dem Inneren eine neue Stirnseite hervor, die eine der vorangegangenen verdeckte. Aber nicht in regelmäßiger Folge. Einige Stirnseiten waren schwieriger zu öffnen als andere.

Er fischte in der Tasche herum und holte einen Bleistiftstummel hervor. Er markierte die Stirnseiten, als er auf sie stieß: 1 für die Oberseite, 2 für den Boden. Er flektierte es, holte eine neue leere Stirnseite nach oben und markierte sie mit 3. Er flektierte abermals, und 2 kam hoch.

»Geschlossene Schleife«, murmelte er. »Aber ich weiß, wie ich damit fertig werde!«

Er wechselte die Diagonale seines Griffs und flektierte von da aus. Diesmal erschien eine neue Stirnseite, und er markierte sie mit 4.

Die nächste Flexion brachte wieder 3 nach oben. Dann 2. Und 1.

»Wieder da, wo wir angefangen haben«, sagte er. Und wechselte die Diagonale. Eine freie Stirnseite erschien, die er mit 5 markierte. Dann weiter bis 2, 1, 3 und schließlich zum letzten Freien, 6.

»Diese Schleifen sind nur geschlossen, wenn man sie läßt«, sagte er mit Befriedigung. »Ich hatte vergessen, wieviel Spaß diese Sechsecke machen! Man weiß, wo man ist, weil die Stirnseiten die Orientierung wechseln.«

Dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag.

»He, Tam!« stieß er hervor.

Er hatte nicht lauter gesprochen als zuvor und das Klangvolumen der Musik ringsum hatte sich nicht gemildert, aber sie schlug die Augen sofort auf.

»Ja?«

»Vielleicht ist es nur eine Schnapsidee, aber ich glaube, ich weiß, warum wir die Welten wiederholen. Und vielleicht auch, wie wir auf kontrollierte Art und Weise aus der Schleife ausbrechen können.«

Sie setzte sich mühelos aufrecht, .wobei sich die Muskeln ihrer Mittelpartie verhärteten.

»Reden Sie.«

Er zeigte ihr seine Plastikkonstruktion, die aufgrund

ihrer vielen Lagen opak war. »Sie wissen, was das ist?«

»Ein Gebilde aus Plattenrahmenmaterial.«

»Eine Hexa-Hexaflexagon. Sehen Sie, ich flektiere es so und bringe neue Stirnseiten nach oben.«

Sie nahm es und flektierte. »Raffiniert. Aber zu welchem Zweck?«

»Nun, sie kommen nicht in Folge nach oben - nicht genau jedenfalls. Sehen Sie sich beim Flektieren die Nummern an - und die Anordnung der Wiederholungen.«

»Eins«, zählte sie ab. Sie flektierte. »Drei. zwei. eins. fünf. zwei - umgekehrt.« Sie blickte hoch. »Es ist eine doppelte Triade. Interessant, nicht bemerkenswert.«

»Angenommen, wir numerieren die Welten, durch die wir gekommen sind - und finden eine rückwärtige Wiederholung. Ich meine dieselbe, aber Spiegel verkehrt?«

Zum ersten Mal sah er einen Agenten stutzen.

»Der zweite Blizzard war rückwärtig!« rief sie aus. »Oder vielmehr um sechzig Grad verzerrt. Der Iglu, seine Unregelmäßigkeiten, die Restspuren unserer Fußabdrücke vom ersten Besuch, der Projektor - alles um ein Drittel gedreht!«

»Ja. Das ist es, was mir auffiel. Er gab zuerst nur keinen Sinn.«

»Flektierende Alternativwelten! Könnte sein.« Schnell machte sie die ganze Sequenz durch und prägte sich das Muster ein. »Es paßt. Wir könnten uns, wenn wir diesen Rahmen zugrunde legen, in einem System mit sechs Stirnseiten befinden. In diesem Fall würde unsere nächste Welt. der Wald sein.«

Sie begriff wirklich schnell! »Aber wir können von dort aus nicht nach Hause gehen.«

»Nein. Die Stirnseite wird gedreht sein, Teil einer Subtriade. Aber wir würden unseren Weg kennen.«

»Ja«, stimmte er erfreut zu.

Sie dachte für einen Augenblick nach. »Es gibt keinen Grund, daß die Alternativwelten den Sechseckseiten entsprechen. Aber es gibt eine eindeutige Parallele, und wir haben damit ein nützliches intellektuelles Werkzeug in der Hand, ungefähr so wie die Mathematik ein Werkzeug zum Verständnis physikalischer Beziehungen ist. Unser Problem ist es, die Stichhaltigkeit unserer Interpretation zu überprüfen, ohne uns dabei unangebrachten Risiken auszusetzen.«

»Sie hören sich jetzt wie Cal an!«

»Das ist keine Schande«, murmelte sie. »Ihr Freund besitzt einen unheimlich fortgeschrittenen Intellekt. Um uns zu vergewissern, könnten wir die Schleife nochmals durchmachen, aber das würde eine Verzögerung von mehreren Stunden bedeuten, weil wir darauf warten müßten, daß sich die Projektoren wieder aufladen. In dieser Zeit könnte unsere Konkurrenz einen Vorteil herausholen.«

»Also gehen wir schnell weiter nach vorn«, schloß Veg. »Wir können der Flexionsroute folgen und feststellen, ob sie funktioniert. Wenn sie es tut, haben wir eine Landkarte von der Alterkeit.«

»Auf Ihre unbekümmerte, ganz normale Männerweise könnten Sie mir geholfen haben«, sagte Tamme. »Kommen Sie her.«

Veg kniete neben ihr nieder.

Sie nahm seinen Kopf in die Hände, zog ihn an sich und küßte ihn. Es war wie jener Moment im freien Fall, in dem ein Raumschiff die Beschleunigung stoppt, um die Orientierung zu ändern. Sein ganzer Körper schien zu schweben, während er seinen eigenen Pulsschlag pochen hörte.

Sie ließ ihn los. Er brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu fassen.

»So haben Sie mich letztes Mal nicht geküßt!«

»Letztes Mal war es eine Demonstration. Diesmal war es Gefühl.«

»Sie haben Gefühle? Ich dachte.«

»Wir haben Gefühle. Aber abgesehen von Amüsement und Abscheu werden unsere Emotionen selten von Normalen geweckt.«

Veg begriff, daß sie ihm ein außerordentliches Kompliment gemacht hatte. Aber das war schon alles. Er hatte ihr geholfen, und sie erwies sich als dankbar. Sie hatte ihn mit einer professionell ausgeführten Geste entlohnt. Fall erledigt.

»Wir stehen hier wohl vor einer Wahl«, sagte sie. »Entweder wir wiederholen die Triade bis in die Unendlichkeit - oder wir brechen aus ihr aus. Der einzige Weg auszubrechen wäre woandershin zu zielen als auf die Plattenwelt. Aber wie können wir dies tun, ohne mit den Projektoreinstellungen in Konflikt zu kommen?«

Veg erkannte das Problem. Machten sie sich an den Einstellungen zu schaffen, konnten sie aus diesem Sechseckgefüge geschleudert werden und verlorengehen - oder tot sein.

Damit wäre nichts verdient. Sie wollten den existierenden Pfaden folgen, wohin diese auch führten, und aufschließen zu. wem?

»Diese Einstellungen sind in das Hexaflexagon eingebaut«, sagte er. »Sie brauchen Sie nur zu finden.«

»Ja. Zu dumm, daß die Alterkeit nicht aus gefaltetem Plastik besteht.«

Sie schwiegen für eine Weile, während die Musik anschwellend auf sie eindrang. Und Veg hatte eine zweite Erleuchtung.

»Die Musik!«

Wieder begriff sie so schnell, wie er den Gedanken erfaßt hatte, und dachte sofort noch ein Stück weiter

als er.

»Phasengleich mit der Musik! Natürlich. Erwischt man sie während einer bestimmten Passage, geht es zur Plattenwelt. Erwischt man sie während einer anderen.«

»Jetzt ist der richtige Zeitpunkt!« rief Veg.

Sie rannten zum Projektor. Tamme hatte ihn augenblicklich eingeschaltet.

Und sie waren im Wald.

»Sieg!« rief Veg glücklich aus. Dann blickte er sich unsicher um. »Aber ist sie .:.«

»Ja, die Welt ist gedreht«, sagte Tamme. »Sie ist also Teil einer anderen Triade. Es wird ein weiterer linkshändiger Projektor hier sein.«

Sie lokalisieren ihn, und es stimmte.

»Hypothese bestätigt«, sagte sie. »Wenn unsere Interpretation also korrekt ist, brauchen wir nicht zu fürchten, nach Blizzard zurückgeschickt zu werden, weil diese umgekehrte Weltvision Teil einer anderen Schleife ist. Die nächste sollte neu sein. Wappnen Sie sich.«

Sie griff nach dem Schalter.

»Klare Sache«, sagte Veg. »Ich bin gewappnet für eine.

. neue Welt.«

Sie war neu, ganz sicher. Vegs erster Eindruck war der von Nebel. Sie standen in einem körperlich spürbaren dichten Dunst.

Er hustete, als das Zeug seine Lungen verstopfte. Es war nicht giftig, nur zu kompakt zum Atmen.

»Runter«, sagte Tamme.

Er ließ sich zu Boden fallen. Unter der Nebelbank gab es eine dünne Schicht klarer Atmosphäre, wie Luft, die unter dem Eis eines Flusses gefangen war. Mit gespitzten Lippen saugte er sie ein.

»Kriechen«, sagte sie mit einer Stimme, die durch den Nebel dumpf klang.

Sie krochen, wobei sie den Nebel mit den Schultern zur Seite stießen. Plötzlich neigte sich der Grund, aber der Boden des Nebels blieb konstant. Er war zu unnachgiebig, um sich den Konturen der Landschaft genau anzupassen. Erst konnte man darunter hocken, dann stehen.

»Das ist schon eine Wolke!« bemerkte Veg und schielte nach oben. Die Substanz hing drohend undurchdringlich über ihnen, eine Decke, die den ganzen Himmel verdunkelte. Diffuses Licht sickerte hindurch.

»Das Zeug ist nahezu massiv!«

»Ihnen hat es unter dem Nadelbaum besser gefallen nicht wahr?« erkundigte sich Tamme. Sie hielt bereits nach dem nächsten Projektor Ausschau.

»Und ob!« Er hatte das nagende Gefühl, daß die Nebelbank jeden Augenblick nach unten fallen konnte, alles zerquetschend.

Vor ihnen öffnete sich ein Tal. Tamme starrte hinein.

Veg folgte ihrem Blick. »Ein Nebelhaus?« fragte er verblüfft.

So war es. Blöcke aus verfestigtem Nebel waren zu etwas zusammengefügt worden, was sehr einer Hütte ähnelte, einschließlich schräg überhängender Nebelziegel auf dem Dach. Jenseits davon bildeten sie eine Mauer oder einen Zaun aus Nebel.

»Das müssen wir uns von innen ansehen«, sagte Tamme. Sie bewegte sich auf das Haus zu.

Ein Nebelvorhang teilte sich und gab den Blick auf einen Türdurchgang und eine Gestalt darin frei.

»Sogar bewohnt«, murmelte Tamme. Ihre Hände griffen nicht nach den Waffen, aber Veg wußte, daß sie bereit war, sie augenblicklich einzusetzen.

»Erkundigen wir uns nach dem Weg«, schlug er

scherzhaft vor.

»Ja.« Und sie ging vorwärts.

»He, ich habe doch nicht gemeint.« Aber er wußte, daß sie gewußt hatte, was er meinte, da sie schließlich seine Emotionen lesen konnte. Verlegen folgte er ihr.

Ganz nahe herangekommen gab es den nächsten Schock. Der Bewohner des Hauses war eine menschliche Frau, mittleren Alters, aber gut erhalten - mit einer gewaltigen Hakennase.

Veg versuchte, sie nicht anzustarren. Die Frau war haargenau das, was er sich unter einer typischen Wildwest-Pionierhausfrau vorstellte - abgesehen von diesem Zinken. Er wand sich vor ihrem Gesicht wie der Rüssel eines Elefantenbabys. Er machte sie viel fremdartiger, als es eine ganze Batterie nichtmenschlicher Züge hätte tun können - weil er das unmittelbare Zentrum der Aufmerksamkeit verkörperte. Er war auf abstoßende Weise faszinierend.

Tamme schien es nicht zur Kenntnis zu nehmen. »Verstehen Sie meine Sprache«, fragte sie freundlich.

Die Nase der Frau kräuselte sich zu einem lebendigen Fragezeichen.

Tamme versuchte es mit einer Anzahl anderer Sprachen und verblüffte Veg dabei durch ihr Können. Dann ging sie zu Zeichen über.

Jetzt reagierte die Frau. »Hhungh!« schnaubte sie, wobei ihre Nase für den Moment steil nach vorne zeigte.

»Projektor«, sagte Tamme. »Alternativwelten.« Sie formte den Projektor mit den Händen. Die Frau kratzte sich mit der Nase nachdenklich die Stirn. »Hwemph?«

»Hex«, sagte Veg ein und hielt das Hexaflexagon hoch.

Die Augen der Frau leuchteten verstehend auf. »Hhehx!« wiederholte sie. Und ihre Nase zeigte auf die

Nebelbank, aus der sie gekommen waren, ein bißchen seitlich davon.

»Hdankeh«, sagte Veg lächelnd.

Die Frau lächelte zurück. »Hshug.«

Veg und Tamme wandten sich wieder dem Nebel zu.

»Nette Leute«, bemerkte Veg, wobei er sich selbst nicht ganz sicher war, wie er das meinte.

»Es sind andere vor uns da (gewesen«, sagte Tamme. »Die Frau ist instruiert worden, sich dumm zu stellen und von sich aus nichts zu sagen. Aber wir haben einen günstigeren Eindruck auf sie gemacht als unsere Vorgänger, und so ist sie über ihre Vollmacht hinausgegangen und hat uns schließlich doch geantwortet.«

»Woher wissen Sie das alles?« Aber noch als er redete, erinnerte er sich. »Sie können auch Fremde lesen! Weil sie Emotionen haben, genau wie wir.«

»Ja. Ich war im Begriff, sie wie eine Zeugin der anderen Seite ins Verhör zu nehmen, aber Sie haben das überflüssig gemacht.«

»Ich und mein Flexagon!«

»Sie und Ihre direkte, naive Art eines Jungen vom Land haben uns wieder Glück gebracht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich muß es zugeben: Einfachheit hat etwas für sich. Sie erweisen sich als überraschend große Hilfe.«

»Nicht der Rede wert«, sagte Veg mit übertriebenem Akzent.

»Natürlich waren unsere Vorgänger dieselben: Tamme und Veg. Deshalb haben sie sie auch zur Kooperation gebracht.«

»Mir ist aufgefallen, daß sie nicht überrascht war, uns zu sehen. Ich nehme an, unsere Nasen sehen wie amputiert aus.«

»Entrüsselt, ja.«

Er lachte. »Jetzt macht sie Scherze!«

Sie hatten die Nebelbank erreicht. »Bleiben Sie hier. Ich brauche wieder einen Orientierungspunkt. Der Projektor wird sich in einem Radius von zwanzig Metern befinden.«

»Sie können wirklich eine ganze Menge von einer Nasenspitze ablesen!«

Sie stürzte sich in die Bank. Die Substanz war so dicht, daß ihr Durchgehen ein gezacktes Loch zurückließ, so als ob sie sich durch eine Wand aus Schaum bewegt hätte. Von den Kanten aus floß der Nebel in das Loch und füllte es hinter ihr allmählich wieder aus.

»Reden Sie«, sagte Tamme aus dem Inneren. »Die Töne werden mir helfen, mich zu orientieren, durch das Echo.«

Typisch! Sie bat ihn nicht zu reden, weil sie irgendwie daran interessiert war, was er vielleicht zu sagen hätte!

»Dieser Ort erinnert mich in gewisser Weise an Nacre. Dort war auch alles Nebel. Aber der war weniger dicht, und er war überall, verursacht durch herabsinkende Partikel; Das echte Pflanzenleben existierte hoch im Himmel, an der einzigen Stelle, wo die Sonne schien. Unten gab es nichts anderes als Pilze, und selbst die Tiere waren in Wirklichkeit Pilze, wie die Mantas. Es war also doch nicht dasselbe.«

Von der Bank kam keine Antwort, und daher fuhr er fort: »Wissen Sie, ich habe mal eine Geschichte über so einen Nebel gelesen. Sie stand in einem alten ScienceFiction-Buch, einem von der Sorte, die es Mitte des Jahrhunderts gab. Ich habe eine Reproduktion davon gesehen, gedruckt auf Papierseiten und alles. Dieser dichte Nebel kam überall dahin, wo die Sonne nicht schien - man buchstabierte ihn >Nebel< - und in seinem Inneren gab es so eine Art Raubtier, das man niemals sah und das Menschen fraß. Es verließ den Nebel niemals - aber es wagte auch niemand, in den Nebel hineinzugehen. Alles, was man hören konnte, waren die Schreie, wenn es jemanden gepackt hatte.«

»AAAAAHHH!«

Veg sperrte den Mund auf. »Oh, nein!« Er stürzte sich in den Nebel, das Messer in der Hand.

Eine Hand packte seinen Unterarm und zerrte ihn wieder zurück. »Versuchen Sie nicht noch einmal, einen Agenten aufzuziehen«, sagte Tamme und ließ ihn los. »Ich habe den Projektor gefunden.«

»Alles klar«, sagte er ergrimmt. Immerhin, dies war das erste eindeutige Anzeichen von Humor, das er bei ihr entdeckt hatte.

»Kriechen Sie drunter her«, sagte Tamme.

Sie krochen unterhalb des Nebels und versorgten sich dabei aus der dünnen Schicht über dem Grund mit klarer Luft. Der Projektor war da.

»Nicht weit von unserer Landestelle entfernt«, sagte Tamme. »Aber das Schema ist nicht konsequent genug, um eine große Hilfe zu sein. Wir müssen noch immer auf jeder neuen Welt nach dem Projektor suchen und den Mechanismus herausbekommen, der uns aus den Schleifen ausbrechen läßt. Das gefällt mir nicht.«

Veg zuckte unbestimmt die Achseln. Abgesehen von Blizzard hatten ihn die Suchen nicht gestört. Aber natürlich konnten sie sich für den Fall einer Gefahr keine Verzögerung leisten.

»Bei dem Hexaflexagon kommt man an jede Stirnseite, indem man in derselben Diagonale flektiert, solange es geht. Wenn Schluß ist, geht man zur nächsten über. Wenn wir also immer weiter gehen, werden wir also vielleicht so oder so ankommen.«

Tamme setzte sich aufrecht. Nebel in ihren Lungen schien ihr nichts auszumachen.

»Wir werden es so machen. Wenn wir in eine Wiederholungsschleife geraten, werden wir uns nach einer

Änderungsmöglichkeit umsehen. Jetzt aber möchte ich eine vergleichende Meinung hören.«

»Eine weitere Menschgegen-Tiger-Wahl?«

Sie holte einen Streifen Papier hervor. »Nennen Sie die Reihenfolge Ihrer Hexaflexagonstirnseiten.«

Veg, der die Nase dicht über dem Boden hatte, um dem Nebel zu entgehen, wurde durch diesen Wunsch überrascht. Tamme kannte die Reihenfolge, in der die Stirnseiten erschienen. Sie hatte sie flektiert, und Agenten verfügten über ein eidetisches Gedächtnis. Er konnte lediglich das Offensichtliche bestätigen! Aber er holte sein Spielzeug hervor und ging das ganze Muster durch, wobei er die Nummern abzählte. »Eins. Fünf. Zwei. Eins. Drei. Eins. Drei. Zwei. Vier. Drei. Zwei. Eins.«

Tamme malte ein Diagramm aus Linien, Nummern und kleinen Richtungspfeilen.

»Dies ist dreiwinklig«, sagte sie. »Ein dreiseitiges He- xaflexagon würde sich einfach nur um das zentrale Dreieck bewegen. Ihr sechsseitiges sorgt für weitere Winkel. Würden Sie zustimmen, daß dieses Diagramm richtig ist?«

Sie zeigte ihm, was sie gezeichnet hatte.



Veg fing mit der nordwestlichen Stirnseite 1 an und zog es mit dem Finger nach. »Eins, fünf, zwei, eins, drei. Ja, das ist die Reihenfolge. Endlich ergibt es Sinn!«

Tamme nickte. Er konnte ihre Geste kaum wahrnehmen, da ihr Kopf fast völlig vom Nebel verborgen wurde.

»Wie ich es sehe, sind wir tatsächlich auf Fünf, der Stadt, gestartet. Dann würden wir haben: Zwei, den Wald, Eins, der Blizzard, Drei, das Orchester, Sechs, die Platten, und, zurück bei unserer ersten Wiederholung, Eins/Blizzard. Dann Wiederholung Drei/Orchester. Und Wiederholung Zwei/Wald. Und nun Seite Vier/Nebel.«

»Ich nehme es an«, sagte Veg, der Schwierigkeiten hatte, mitzukommen.

»Hier sind wir jetzt.«

»Unser nächster Halt sollte also Wiederholung Drei/Orchester sein - dieses Mal verzerrt, weil sich die Welt auf einer getrennten Schleife befindet. Dann weiter zu Zwei/Wald, Eins/Blizzard und nach Hause zu Fünf/Stadt.«

»Kommt hin«, sagte er. »Wir haben alle Stirnseiten verbraucht.«

»Womit wir wieder da wären, wo wir angefangen haben - geschlossene Schleife, und niemand außer uns selbst.«

»Das vermute ich jetzt auch. Die anderen müssen davon gekommen sein. Ist das schlecht?«

»Ich kann es nicht akzeptieren. Wer hat all die anderen Projektoren aufgebaut?«

Veg schüttelte den Kopf. »Da fragen Sie mich zuviel! Wenn sie davongekommen wären, hätten sie ihre Projektoren mitgenommen. Sie müssen also noch da sein. Und es kann keine sechs Vegs und sechs Tammes geben.« Er überlegte. »Oder doch?«

»Angenommen, Ihr Hexaflexagon hätte zwölf Stirnseiten?«

»Sicher. Es kann eine beliebige Anzahl von Stirnseiten geben, wenn man mit einem Streifen von Dreiecken anfängt, der lang genug ist und richtig gefaltet wird.«

»Eine Zwölf-Seiten-Konstruktion würde jedem der sechs Außenwinkel lediglich eine neue Stirnseite hinzufügen«, sagte sie.

Veg zuckte die Achseln.

»Ich glaube es Ihnen. Ich würde mir ein leibhaftiges Hexaflexagon machen müssen, um es selbst überprüfen zu können.«

»Glauben Sie es mir nicht. Machen Sie Ihre Konstruktion.«

»Hier? Jetzt? Warum gehen wir nicht zu einer besseren Alternativwelt, um.«

»Nein.«

»Ich habe nichts, um.«

Sie nahm das sechsseitige Hexaflexagon auseinander, strich den langen, gefalteten Plastikstreifen glatt, setzte ein kleines Messer, das in ihrer Hand erschien, an der Kante an und zerteilte ihn längsseits in zwei Lagen. Sie förderte eine kleine Phiole mit einer klaren Flüssigkeit zutage und klebte die Streifen an den Enden zusammen. Das Ergebnis war ein Streifen von doppelter Länge.

Veg seufzte. Er nahm ihn und faltete ihn sorgsam. Er machte eine flache Schlinge, so daß aus der doppelten Länge die Größe des Originals wurde, allerdings mit zwei Lagen" anstatt mit einer. Dann bastelte er ein normales Hexaflexagon.

»Gehen Sie es durch und numerieren Sie Ihre Stirnseiten«, sagte Tamme.

»Okay.«

Es war ein komplizierterer Vorgang, der dreißig Flexionen umfaßte, aber schließlich hatte er es geschafft. In der Zwischenzeit hatte Tamme ein neues Diagramm gezeichnet.

»Nun fangen Sie bei Seite Eins an und flektieren«, sagte sie. »Ich werde Ihnen Ihre Nummern im voraus nennen. Fünf.«

Er flektierte. »Fünf ist richtig.«

»Sieben.«

Er flektierte wieder. »Richtig.«

»Eins.«

»Wieder richtig. He, lassen Sie mich das Diagramm doch mal sehen.«

Sie zeigte es ihm. Es war eine ausgeklügelte Version des vorangegangenen Diagramms, mit neuen Dreiecken, die von jedem der sechs Außenpunkte abgingen. Ein Winkel jedes der äußersten Dreiecke trug die Nummer einer neuen Stirnseite, was eine Gesamtzahl von zwölf ergab.

Sie flektierten den Rest der Konstruktion. Das Ergebnis entsprach dem Diagramm.

»Wie ich es sehe«, sagte Tamme, »könnten wir uns statt in dem sechsseitigen in diesem Schema befinden. In diesem Fall wäre unser Startpunkt Sieben, gefolgt von Eins, Fünf, Zwei, Acht, Fünf, Zwei, Eins und nun Drei. Wenn dem so ist, könnten unsere nächsten Stops neue Welten sein, Sechs und Neun.«

»Anstelle von Wiederholungen!« sagte Veg. »Das ist der direkte Beweis. Wir müssen es lediglich versuchen. Wenn uns die neuen nicht gefallen, springen wir einfach nach Drei dort in der Schleife - das ist hier. Unsere Landkarte gilt noch immer.«

»Sofern es sich nicht bloß um eine Subsektion einer unendlich großen Konfiguration handelt«, warnte sie. »In diesem Fall wäre unsere Karte lediglich ein grober Wegweiser. Aber wir würden vermutlich den Rückweg finden, obgleich es die Möglichkeit, auf demselben Weg zurückzugehen, auf dem wir gekommen sind, nicht mehr gibt.« Sie machte eine Pause und blickte ihn durch den Dunst an. »Wenn mir etwas zustoßen sollte, benutzen Sie das Diagramm, um zu Ihren Freunden in der Stadt zurückzukehren.«

»Nicht ohne Sie«, sagte er.

»Sentimentalitäten. Vergessen Sie sie. Ihre Philosophie ist nicht die meine. Ich werde Sie augenblicklich verlassen, wenn sich die Notwendigkeit dazu ergibt.«

»Vielleicht tun Sie das«, sagte Veg unbehaglich. »Bisher hat es keine wirklichen Schwierigkeiten gegeben. Vielleicht wird es auch keine geben.«

»Ich würde sagen, die Wetten stehen vier zu eins, daß es welche geben wird«, sagte sie. »Irgend jemand hat diese Projektoren aufgebaut, und in mindestens einem Fall war es ein anderer Agent, wie ich es bin. Natürlich bin ich es gewohnt, mit Agenten umzugehen, die wie ich sind - aber das sind Tara, Tank und Taphe gewesen, keine alternativen Tammes. Ich habe vor, die andere Agentin zu finden und zu töten. Und das wird schwierig werden.«

»Ja. Unterschiedliche Philosophien«, sagte Veg. Er wußte, daß sie seine Mißbilligung las. Vielleicht würde es besser sein, sie zu verlassen, wenn es dazu kam.

»Genau«, sagte Tamme.

Und aktivierte den Projektor. Sie befanden sich in einer gewölbten Halle. Auf dem Boden gab es Fliesen im Schachbrettmuster, und die glatte Decke wies ein ähnliches, wenn auch feineres Muster auf. Die Wände waren grauweiß. Aus Platten im Deckenmuster, die in regelmäßigen Abstand angebracht waren, schien Licht nach unten. Es war angenehm warm, und die Luft ließ sich atmen.

»Sie hatten also recht«, sagte Veg. »Eine neue Alternativweit, ein größeres Muster. Keiner kann sagen, wie viele Agenten sich herumtreiben.«

»Es ist auch möglich, daß dies alles Schauplätze auf derselben Welt sind«, sagte Tamme. »Das würde die Beständigkeit von Schwerkraft, Klima und Atmosphäre erklären.«

»Dieser Blizzard war nicht beständig!«

»Immer noch im Bereich normaler Temperaturen.«

»Wenn es sich bei allen um Variationen der Erde handelt, erklärt das Schwerkraft und Klima. Sie haben selbst gesagt, daß es andere Alternativwelten sind. Andere Spurenelemente in der Luft oder sowas.«

»Ja. Aber vielleicht war ich voreilig. Es dürfte genauso leicht sein, die Luft einer speziellen Örtlichkeit zu regulieren wie das Reisen zwischen Alternativwelten zu arrangieren. Eine Materietransmission von einem Punkt

auf dem Globus zu einem anderen würde dafür sorgen. Ich will nur sagen, daß ich mir nicht sicher bin, ob wir tatsächlich.« Sie unterbrach sich. »Oh!«

Veg blickte dorthin, wo sie hinblickte, sah jedoch nichts Besonderes. »Was ist los?«

»Die Wände bewegen sich. Auf uns zu.«

Er nahm keinen Unterschied wahr, vertraute jedoch auf ihre Sinne. Er litt nicht an Klaustrophobie, aber der Gedanke machte ihn nervös.

»Eine Mausefalle?«

»Vielleicht. Wir sollten besser den Projektor finden.«

»Es gibt nur zwei Wege, die wir einschlagen können. Warum gehe ich nicht hier entlang und Sie dort? Einer von uns müßte ihn finden.«

»Ja«, sagte sie.

Ihre Stimme hatte einen leicht schrillen Unterton, so als sei sie nervös. Das war eigenartig, denn Agenten verfügten über eine hervorragende Selbstkontrolle. Sie waren höchst selten nervös, wenn überhaupt, und wenn sie es waren, dann zeigten sie es nicht.

»Okay.«

Er ging in die eine Richtung, sie in die andere. Aber es nagte in ihm: Was beunruhigte sie so sehr, daß selbst er es merken konnte?

»Nichts«, murmelte er vor sich hin. »Wenn ich es merke, dann nur deshalb, weil sie will, daß ich es merke.« Aber was hatte sie versucht, ihm zu sagen?

Er drehte sich um, um Ausschau nach ihr zu halten. Und stand da wie vom Schlag getroffen.

Die Wände bewegten sich - nicht mehr langsam jetzt, sondern schnell. Sie schoben sich von beiden Seiten zwischen ihm und Tamme vor und verengten die Halle in alarmierendem Maße.

»He!« schrie er und wollte zurück.

Tamme hatte in die andere Richtung geblickt. Jetzt

drehte sie sich wie eine losschnellende Feder um und rannte auf ihn zu, so schnell, daß er verblüfft staunte. Ihr Haar flog in gerader Linie hinter ihr her. Sie näherte sich mit nahezu fünfzig Stundenkilometern: schneller als er jemals für möglich gehalten hätte, daß ein menschliches Wesen zu Fuß sein konnte.

Die Wände beschleunigten. Tamme machte einen Sprung nach vorne, wand sich gerade noch durch, bevor die Lücke geschlossen wurde. Sie landete auf den Händen, machte eine Rolle vorwärts und sprang auf die Füße. Sie kam auf ihn zu, nicht einmal außer Atem.

»Danke.«

»Diese Mausefalle!« sagte er mitgenommen. »Fast hätte sie Sie erwischt!« Dann: »Danke für was?«

»Dafür, daß Sie auf normale menschliche Weise reagiert haben. Die Falle war offensichtlich auf Ihre Fähigkeiten ausgerichtet, nicht auf meine. Das wollte ich bestätigt haben.«

»Aber was war der Zweck?«

»Es geht darum, uns zu trennen und dann in aller Ruhe mit uns zu verfahren. Zweifellos ernährt es sich von tierischem Fleisch, das es auf diese Weise fängt.«

»Eine karnivorische Welt?« Veg spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte.

»Vielleicht. Oder auch bloß ein Gefängnis, wie die Stadt. Wir sehen sehr wenig von den Alternativen, die wir besuchen.«

»Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Suchen wir den Projektor und verschwinden wir!«

»Er muß an einer sicheren Stelle untergebracht sein

- an einer, wo ihm die Wände nichts anhaben können.«

»Ja. Wir bleiben besser zusammen, was?«

»Ich hatte nie eine Trennung beabsichtigt«, sagte sie. »Aber ich war mir nicht sicher, wer uns vielleicht zuhörte.«

Daher der schrille Unterton. Er würde nächstesmal wachsamer sein müssen!

»Sie meinen, es ist intelligent?«

»Nein. Geistlos, vielleicht rein mechanisch. Aber gefährlich - so wie eine echte Mausefalle.«

»Ja - wenn man zufällig die Maus ist.«

Sie gingen weiter, zusammen. Die Wände waren jetzt belebt, wanden sich wie der Körper einer leibhaftigen Python. Sie schoben sich vor, aber die Luft in der Passage komprimierte sich und verhinderte ein vollständiges Schließen. Es gab stets einen Austritt für die Luft, und Veg und Tamme waren in der Lage, diesem zu folgen.

»Passen Sie jedoch auf, wenn Sie irgendein Spundloch oder Rohr sehen«, warnte Tamme. »Dort könnten sich die Wände plötzlich ganz schließen, weil die Luft trotzdem entweichen kann.«

Veg interessierte sich jetzt ungemein für Luftlöcher.

Mitunter stießen sie auf eine Weggabelung und mußten sich schnell entscheiden, welche Abzweigung zu einem breiteren Korridor führen mochte. Aber jetzt, da sie die Natur der Umgebung verstanden, waren sie imstande, sich Schwierigkeiten vom Leib zu halten.

»He, da ist er!« rief er aus. »Der Projektor.«

Die Wände vor ihnen bogen sich zurück, während sie sich hinter ihnen schlossen, wie um sie vorwärts zu treiben. Nun hatte sich ein Projektor gezeigt. Er war auf Rädern, und ein Ring aus Metall umgab ihn.

»Raffiniert«, sagte Tamme. »Räder und ringsum eine Schutzvorrichtung, so daß er sich immer vor der Wand her bewegt und nicht gefangen oder zerquetscht werden kann. Solange sich die Wände nicht genau parallel schließen und das scheint nicht in ihrer Natur zu liegen

-, wird er hindurchschlüpfen. Betrachten Sie die Kugellager an der ringförmigen Schutzvorrichtung.« Sie ging

darauf zu.

Veg streckte die Hand aus, um sie zurückzuhalten. »Käse«, sagte er.

Sie zögerte. »Sie haben eine gewisse angeborene Schlauheit an sich. Mein Kompliment.«

»Noch ein Kuß tut es auch.«

»Nein. Ich beginne, Sie zu respektieren.«

Veg wurde von verwirrten Emotionen überfallen. Sie küßte keinen, den sie respektierte? Weil ein Kuß diesen Respekt verringerte - oder vermehrte? Oder weil ihre Küsse kalkulierte sexuelle Lockmittel waren, die sie bei Freunden nicht anwandte? War sie im Begriff, sich emotionell zu engagieren? Das war mehr die Art und Weise, in der Aquilon reagierte. Der Gedanke war erregend.

»Der Gedanke ist gefährlich«, sagte Tamme, die seine Empfindungen las. »Sie und ich sind, abgesehen von einer rein physischen Ebene, zeitlich eng begrenzt, nicht füreinander bestimmt. Meine Erinnerung an Sie wird ausradiert werden, wenn ich einen neuen Auftrag bekomme, aber Ihre Erinnerung an mich wird bleiben. Wenn Emotionen ins Spiel kommen, korumpieren sie uns beide. Liebe würde uns vernichten.«

»Ich würde es riskieren.«

»Sie sind ein Normaler«, sagte sie mit einer Andeutung von Geringschätzung. Sie wandte sich dem Projektor zu. »Sprengen wir die Mausefalle.«

Sie förderte irgendwo in ihrer Uniform einen Faden zutage, machte dann ein Lasso. Sie schlang dieses um den Schalter, zog es fest und entfernte sich dann. Der Faden spannte sich hinter ihr, fünf Schritte, zehn, fünfzehn.

»Schützen Sie Ihre Augen«, sagte sie. Veg zog die Arme hoch, um sowohl Augen als auch Ohren damit zu bedecken. Er spürte die Bewegung, als sie an dem Faden zerrte und den Projektor anstellte.

Dann fand er sich auf dem Boden wieder.

Tamme half ihm auf die Beine. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe mich verkalkuliert. Das war die Falle eines Agenten.«

»Was?« Er starrte zurück in die Halle, und seine Erinnerung kehrte zurück. Es hatte eine schreckliche Explosion gegeben, durch die er niedergestreckt worden war.

»Richtladung. Wir befanden uns am Rand ihrer Wirkung. Sie sind mit dem Kopf gegen die Wände geschlagen.«

»Ja.« Er fühlte die Beule jetzt. »Gut, daß diese Wand etwas nachgiebig ist. Ihr Leute spielt ein rauhes Spiel.«

»Ja. Unglücklicherweise bin ich schon zu lange mit dieser Mission beschäftigt. Meine Orientierung leidet. Ich begehe Irrtümer. Ein frischer Agent würde sowohl die Falle als auch ihre genaue Anwendung vorausgesehen haben. Ich bedaure, daß mein Nachlassen Ihr Wohlbefinden beeinträchtigt hat.«

»Irrtümer sind menschlich«, sagte er und rieb sich die Stirn.

»Genau.« Sie stellte ihn auf die Füße. »Ich glaube, die Explosion hat die Wände vorübergehend außer Funktion gesetzt. Sie sollten hier sicher sein, während ich mich schnell etwas umsehe.«

»Menschlich gefallen Sie mir besser.«

»Elend sucht Gesellschaft. Bleiben Sie hier.«

»Okay.« Er fühlte sich benommen und etwas schwindlig. Er setzte sich hin und ließ den Kopf hängen.

»Ich bin wieder da.«

Er war sich ihrer Abwesenheit kaum bewußt geworden!

Sie führte ihn zu einer »beständigen« Stelle, die sie lokalisiert hatte: Sechs Metallstäbe waren in Boden und Decke verankert und verhinderten jede Beeinträchtigung. Auf einem Podest innerhalb dieser Absperrung befand sich ein weiterer Projektor.

»Dieser ist sicher«, sagte Tamme. Veg fragte sie nicht, woher sie das wußte. Vermutlich war es möglich, einen Projektor so mit einer Falle zu versehen, daß sie einige Zeit nach seinem Gebrauch explodierte, was auch einen echten Projektor gefährlich machen konnte, aber das würde riskant sein, wenn das Alternativweltmuster dieselbe Person zurückbrachte. Am besten war es, an den echten Projektoren überhaupt nicht herumzufummeln! Genau wie die Araber in der Wüste niemals das Wasser vergifteten, mochte die örtliche Politik auch noch so bösartig sein. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, wer gezwungen war, als nächster davon zu trinken.

»Ich hoffe, die nächste Welt ist angenehmer«, sagte er.

»Das muß sie sein.«

Sie aktivierte das Gerät.